Bochum 1983. Im Dezember findet in der Kneipe Alcatraz an der Kohlenstraße eine Betroffenenversammlung statt. An diesem Abend ist auch der Anwalt Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt anwesend, der durch eine Ankündigung auf die Veranstaltung aufmerksam wurde. Bis zum Jahr 1988 kämpft er für die Rechte des Heusnerviertels.
Die Veranstaltung im Alcatraz wird von den Bewohner*innen des Heusnerviertel inszeniert. Parteien aus dem Rat, sowie Bewohner*innen sind anwesend. Auf der einen Seite werden die Baupläne vorgestellt und auf der anderen Seite die Vorstellungen der Bewohner*innen aufgezeigt. Das Interesse des Anwalts Czapracki-Mohnhaupt wird geweckt. Er merkt schnell, dass beide Seiten sehr entschlossen sind, ihre Ziele durchzusetzen. Anfang des Jahres 1984 wird er gebeten, sich als Anwalt für das Heusnerviertel einzusetzen. Ihm werden zwei entscheidende Fragen gestellt: Können wir was gegen den Bauplan tun? Und was können wir gegen die Kündigungen machen? Denn zu diesem Zeitpunkt liegen den Bewohner*innen schon vom Akafö ausgesprochene Kündigungen vor.
Eine Normenkontrollklage wird eingereicht. Mit diesem Verfahren soll das OVG-Münster den Bebauungsplan für nichtig erklären und das Bebauungsrecht widerrufen, doch die Entscheidung lässt auf sich warten. Einige Räumungsverfahren werden zunächst ausgesetzt, da das Ergebnis des Normenkontrollverfahrens abgewartet werden soll. Doch am Ende setzt das Landgericht Bochum in allen Verfahren eine Räumungsfrist fest: Spätestens am 31.05.1986 müssen die Wohnungen endgültig geräumt sein. Es wird nicht gewartet.
Das Ergebnis der Normenkontrollklage für den Bebauungsplan 234 kommt für das Heusnerviertel zu spät. Erst im Jahr 1988 wird festgestellt, dass der Bebauungsplan nichtig ist. Das Heusnerviertel wurde längst bis auf 4 Häuser an der Kohlenstraße und ein Haus in der Bahnstraße abgerissen. Schnell entwirft die Stadt einen neuen Plan. Mithilfe des Bebauungsplans 234n, der 1992 nach einer erneuten Klage endgültig für wirksam erklärt wird, steht dem Bau der Westtangente nichts mehr im Wege.
Nach dem Abriss befasst sich das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch einmal mit dem rechtswidrigen Handeln der Polizei, denn bei der Abrissdemonstration, die einen Tag nach dem vollständigen Abriss stattfand, wurde nicht nur erneut die Einkesselungsstrategie angewandt. Es wurden auch zahlreiche Demonstranten festgenommen – unter den Festgenommenen auch der Anwalt Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt, der sich von dem Vorgehen der Polizei in der Innenstadt lediglich ein eigenes Bild machen wollte. Der Vorwurf, der Leiter der Demonstration gewesen zu sein, musste wegen fehlender Beweise wieder fallengelassen werden. Der Anwalt ließ zusätzlich durch das Verwaltungsgericht feststellen, dass seine Festnahme rechtswidrig war. Der Polizeipräsident der Stadt Bochum musste eine Ehrenerklärung abgegeben – für den Anwalt die erwünschte Genugtuung.
Natürlich, am Ende verlieren die Bewohner*innen trotz mehrfach festgestellter Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns den Kampf um das Heusnerviertel. Doch vergebens war dieser laut Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt nicht:
„Widerstand und Protest lohnen sich – immer. So Niederlagen – wie im Heusnerviertel – muss man sich erst mal erkämpfen. Daran erinnern sich Menschen noch heute.“ Deshalb „ist es auch wichtig, eigentlich erledigte Sachen konsequent weiterzuverfolgen, um dann im Nachhinein gerichtlich feststellen zu lassen, dass eine Maßnahme rechtswidrig war. Ansonsten bleibt der Eindruck eines rechtmäßigen Handelns bestehen. Denn obwohl es häufig ganz anders ist, prägt sich das dann in der öffentlichen Meinung ein.“
Von Anja Bickele